Warum brauchen wir eine neue EU-Gesetzgebung zu Lieferketten?

Die Globaliserung hat auch eine Globalisierung von Wertschöpfungsketten mit sich gebracht: Viele der Produkte, seien es elektronische Geräte, Bekleidung oder Lebensmittel, durchlaufen viele verschiedene Stationen ihrer Herstellung in verschiedenen, oft weit voneinander entfernten Ländern.

Das hat zu einer hohen Komplexität der Lieferketten geführt. Diese Entwicklung ist dem Muster eines Wettlaufs nach unten gefolgt. Das heißt, dass Unternehmen systematisch Menschen und den Planeten für Profite ausgebeutet haben. Das Resultat: Die Tätigkeiten der Unternehmen, getrieben von einer kapitalistischen Systemlogik des Wettbewerbzwangs sowie von Profitgier, "haben zum Zusammenbruch des Klimas und der Biodiversität, die [weitere] Aushöhlung der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, Zwangs- und Kinderarbeit, wachsende Armut und die Ermordung von Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen verursacht oder dazu beigetragen."

Dazu kommt, dass in Ländern mit schwächeren Umwelt- Arbeits- und Menschenrechtsstandards das Handeln der Unternehmen oft ungestraft bleibt.

Es ist daher klar, dass es dringend starke gesetzliche Regeln braucht, um diese zerstörerischen Entwicklungen aufzuhalten und die Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Nachdem diese Entwicklung der großangelegten Auslagerung der Produktion bereits in den 70er Jahren begonnen hat, sind gesetzliche Rahmenwerke längst überfällig.

Welche Regelungen gibt es bereits?

Es gibt bereits internationale Leitlinien zu unternehmerischem Verhalten, wie die UN-Leitprinzipien über Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) oder die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Der Haken: Diese basieren auf Freiwilligkeit. Auf EU-Ebene haben einige Länder verpflichtende Rechtsvorschriften für Unternehmen erlassen, sogenannte Sorgfaltspflichten - darunter Frankreich, Deutschland und Norwegen.

Aber auch diese Rechtsvorschriften gehen nicht weit genug, weil sie nur einen kleinen Prozentanteil der Unternehmen erfassen und die Rückverfolgbarkeit in den Lieferketten - und damit die Klärung von Verantwortlichkeiten - nicht wesentlich verbessern. Außerdem ist klar: Wenn die Wertschöpfungsketten global sind, dann müssen auch gesetzliche Rahmenwerke global greifen können.

 

Was soll die EU-Richtlinie zu nachhaltiger Unternehmensführung leisten?

Die EU ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das heißt, dass viele Unternehmen, die in der EU, aber auch global produzieren, hier ihren Sitz haben. Daher hat es einen großen Einfluss auf die Weltwirtschaft, wenn die EU einheitliche Regeln zur Unternehmensführung erlässt. Wichtig bei diesem Unterfangen ist es, mehrere Grundprinzipien zu beachten:

1.    Die Gesamte Wertschöpfungskette muss erfasst werden

Vor allem in den ersten Stufen der Kette geschehen oft schwerwiegende Menschenrechts- und Umweltverstöße, deswegen ist es essenziell, dass alle Stufen bis dahin erfasst werden um die Unternehmen, die von den Rohstoffen profitieren und Gewinne einstreichen ohne Verantwortung für die Bedingungen in den Erzeugerländern zu übernehmen, zur Verantwortung zu ziehen.

2.    Alle Unternehmen müssen erfasst werden

Es dürfen nicht nur die größten Unternehmen erfasst werden. Zwar sind diese oft für große Schäden verantwortlich, aber auch die vielen mittleren und kleineren Unternehmen stehen in globalen Lieferketten und haben ebenso großen Einfluss darauf.


3.    Es braucht einen Zugang für Betroffene zur Justiz und zivilrechtliche Haftung für Unternehmen

Die EU muss Betroffenen negativer Auswirkungen von Unternehmensführung Zugang zur Justiz ermöglichen. Es braucht diesen Rechtsweg, denn sonst gibt es keine Möglichkeit auf Entschädigung und viele Verstöße würden unentdeckt bleiben. Das bedeutet, dass die Unternehmen einer zivilrechtlichen Haftung unterliegen sollen.


4.    Es braucht eine starke Durchsetzung und harte Sanktionen für Non-Compliance

Nur harte Strafen für Unternehmen, die die Sorgfaltspflicht nicht befolgen, können sicherstellen, dass das Gesetz auch Wirkung entfalten kann.

5.    Partizipation und Inklusion von betroffenen Beschäftigten, Gemeinschaften und anderen in den Prozess der Sorgfaltspflicht ist notwendig

Risiken können nur richtig eingeschätzt werden, wenn die Menschen, die direkt von den Unternehmensentscheidungen betroffen sind, konsultiert werden. Gewerkschaften, betroffene indigene und lokale Communities, Frauengruppen und andere betroffene Interessensträger müssen daher miteinbezogen werden.

6.    Transparenz stellt Verantwortlichkeit her

Die Transparenz für die Öffentlichkeit muss hergestellt werden - beispielsweise über eine Pflicht zur Offenlegung bei berechtigten Bedenken. Ansonsten kann Verantwortlichkeit nicht geklärt werden und es kann oft Jahre dauern bis Ermittler*innen Verbindungen von Niederlassungen, Lieferante*innen und Geschäftspartner*innen zu EU-Unternehmen aufdecken können.

Initiativen und Allianzen, die sich für verbindliche Regeln für Unternehmen einsetzen:

https://justice-business.org/

https://www.nesove.at/menschenrechte-brauchen-gesetze/

 

Kritik: Was verbessert werden muss am derzeitigen Gesetzesentwurf

Am 23. Februar 2022 ist der Gesetzesentwurf der EU-Kommission erschienen. Südwind begrüßt den lang erwarteten Gesetzesentwurf ausdrücklich als Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz weist der Vorschlag noch große Lücken auf und bleibt weit hinter den Forderungen der europäischen Öffentlichkeit und der zivilgesellschaftlichen Organisationen zurück.


•    Laut Kommission sollen nur große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 150 Mio. Euro bzw. in Hochrisikosektoren mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 40 Mio. Euro von der Regelung betroffen sind. Das würde bedeuten, dass nur ein verschwindend kleiner Anteil (in Österreich 0,06%) der Unternehmen erfasst würden. Südwind fordert, dass alle Unternehmen von der Richtlinie erfasst werden müssen.

•    Die gesamte Wertschöfpungskette und alle Geschäftsbeziehungen entlang derselben müssen erfasst werden - nicht nur, wie die Kommission festhält "etablierte Geschäftsbeziehungen". Denn das trägt der Tatsache in der Bekleidungsindustrie nicht Rechnung, dass kurze und informelle Beziehungen und Aufträge gängige Praxis sind.

•    Alle Menschenrechts- und Umweltauswirkungen müssen erfasst werden und die dafür relevanten internationalen Regelwerke. Zum Beispiel müssen noch explizit genannt werden: Das ILO-Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt. Umweltschäden müssen stärker berücksichtigt werden - auch ohne direkte Verbindung zu Menschenrechtsverletzungen. Außerdem sollte die Sorgfaltspflicht auch nachteilige Auswirkungen von Unternehmenstätigkeiten auf das Klima erfassen.

•    Es gibt zwar eine zivilrechtliche Haftungsregelung, aber die Frage der Beweislast wird dem nationalen Recht überlassen. Südwind fordert, dass den angeklagten Unternehmen die Beweislast obliegen soll: Sie sollen belegen müssen, dass sie alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu minimieren, sowie, dass entstandene Schäden nicht auf ihre Pflichtverletzung zurückführbar ist.

•    Einkaufspraktiken müssen explizit in die Richtlinie aufgenommen werden. Denn einerseits sind es oft Einkaufs- und Preisgestaltungspraktiken, die zu Menschenrechts- und Arbeitsrechtsverletzungen führen. Andererseits können nur angemessene Preise ein "living income" sowie die Achtung von Menschenrechten und Umwelt ermöglichen.

•    Die Durchsetzung der Richtlinie muss insofern gestärkt werden, dass unabhängige Zertifizierer und Multistakeholder-Initiativen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überprüfen - anstatt komerzielle Auditor*innen und Zertifizierer*innen.

•    Es soll Schranken für Unternehmen geben, einfach eine "cut-and-run" Taktik anzuwenden, das heißt Geschäftsbeziehungen einfach zu beenden, um nicht aktiv an der Verbesserung der Bedingungen bezüglich Menschenrechts- und Umweltauswirkungen beitragen zu müssen. Nur dann sollen solche Beendigungen möglich sein, wenn es an Einflussmöglichkeiten fehlt oder wenn die die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen so schwerwiegend sind, dass ein Ausstieg die einzige Option ist.

•    Die Inklusion von Interessensträger:innen in den Sorgfaltsprozess muss gestärkt werden, sie in jedem Schritt miteinbeziehen und sie explizit nennen: Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innenvertretungen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechts- und Umweltschützer*innen.