Schon die Ausgangslage der Klimakonferenz in Ägypten (COP27) war hochproblematisch. Repressionen und Verhaftungen von Aktivist*innen im Vorfeld, die abgelegene Lage des Konferenz-Geländes sowie 60.000 politische Gefangene ergaben ein verheerendes Bild der Menschenrechtslage. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung  bei der COP27 sollte möglichst schwer gemacht werden. Dennoch konnte sich das Momentum der Zivilgesellschaft auf diesem Weltklimagipfel in einem entscheidenden Punkt durchsetzen. Gemeinsam mit den Ländern des Globalen Südens hat die Klimabewegung vor allem eines gefordert: Einen Fonds für die verheerenden Verluste und Schäden der Klimakrise. Mit Märschen, Kundgebungen und Aktionen hat die globale Bewegung für Klimagerechtigkeit diese wichtige Forderung in die Verhandlungsräume getragen – und hat damit einen Meilenstein errungen. Gleichzeitig gab es bei anderen Verhandlungspunkten grobe Versäumnisse. Statt mutiger Schritte für stärkere Klimaschutz-Ambitionen, mussten vielfach die wenigen Minimal-Kompromisse der letzten Klimakonferenzen verteidigt werden. 

Das Südwind-Resümee der Klimakonferenz fällt somit gespalten aus:  Einerseits muss die Einigung für einen neuen Fonds für Verluste und Schäden als historischer Fortschritt gewertet werden. Andererseits gab es bei Klimaschutz und Anpassung gravierende Versäumnisse.

 

Historischer Sieg der Zivilgesellschaft

Klimabedingte Verluste und Schäden bedeuten heute schon, dass die reichen Länder vor allem jungen Menschen und Menschen im Globalen Süden ihre Möglichkeiten zur Selbstbestimmung rauben. Die Klimakrise wird so zum Brandbeschleuniger bestehender Krisen, verschärft Ungleichheiten und entzieht vielen Menschen im Hier und Jetzt essentielle Lebensgrundlagen. Alleine 2022 haben verheerende Fluten in Pakistan und Nigeria, extreme Dürren im Horn von Afrika und lebensgefährliche Hitzewellen von Großbritannien bis nach China gewütet.

Dass die reichen Länder der Welt endlich einem Fonds für Verluste und Schäden zustimmen, muss als ein Sieg für den Globalen Süden gewertet werden. Aktivist*innen und Vertreter*innen von armen und besonders vulnerablen Länder haben sich seit über 30 Jahren dafür eingesetzt. Bei der diesjährigen Klimakonferenz wurde dem Druck endlich nachgegeben und ein Fonds beschlossen für Ausgleichszahlungen der reichen Länder an die armen. Auch an einem Nebenschauplatz zu technischer Unterstützung bei der Behebung von Verlusten und Schäden wurde eine Einigung erreicht.    

Auch wenn noch mehrere Schritte notwendig sind, bis tatsächlich Geld über diesen Fonds fließt, so ist zumindest die Zeit der Rechenschaftslosigkeit vorbei. Ganz nach dem Motto der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) – „Leave no one behind“ – geht es auch bei Verlusten und Schäden darum, niemanden im Stich zu lassen. Der Fonds ist nicht nur essentiell, um das beschädigte Vertrauen zwischen den Staaten wiederherzustellen, sondern auch um armen Länder überhaupt nachhaltige Investitionen in Klimaschutz zu ermöglichen. Eine Studie über die 55 durch die Klimakrise am stärksten betroffenen Länder hat ergeben, dass sie in den letzten 20 Jahren rund 525 Milliarden Dollar an Klimaschäden erlitten haben.

“Die Menschen sind nicht einfach nur verletzlich und arm. Die Menschen wurden durch Kolonialismus und Extraktivismus arm und verletzlich gemacht” - Zukiswa White, Aktivistin der African Feminist Taskforce.

Das Ausmaß von Verlusten und Schäden im Globalen Süden ist auch deswegen so groß, weil das Erbe von Kolonialismus und wirtschaftlicher Abhängigkeit die Länder mit geringen technologischen und finanziellen Ressourcen zurückgelassen hat. So wichtig der Beschluss für den Ausgleichsfonds auch ist, Geld alleine wird die erlebten Verluste und Schäden nicht wieder gutmachen und geraubte Ressourcen und Kapazitäten nicht automatisch zurückgeben. Der Weg zu echter Klimagerechtigkeit ist somit noch sehr weit. Das zeigten auch die weitreichenden Versäumnisse der Klimakonferenz.

 

Gravierende Versäumnisse

Bei Nachschärfungen der Klimaschutzpläne und Anpassungsmaßnahmen versagten die COP27-Verhandlungen. Die derzeitigen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Erderhitzung auf unter 1,5 Grad Celsius einzudämmen. Ganz im Gegenteil, bei den aktuellen Plänen steuern wir auf eine katastrophale Erwärmung von 2,7 Grad Celsius zu. Und schon heute verzeichnen wir Erderwärmung von 1,2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit. 

Dennoch gab es auf der Klimakonferenz in Ägypten keine echten Fortschritte in Bezug auf Emissionsreduktionen. Nur rund zwei Dutzend Staaten haben, wie vereinbart, seit der letzten Klimakonferenz in Glasgow nachgebesserte nationale Klimaschutzpläne (NDCs) vorgelegt. Im Abschlusstext ist weder die Rede vom Ausstieg aus den fossilen Energieträgern (nur, wie in Glasgow, „phase-down of coal“ erwähnt) noch die Rede vom Ende der Investitionen in fossile Energieträger. 

Damit rasen wir weiter ungebremst auf die 1,5 Grad-Grenze zu. Die Mut- und Tatenlosigkeit der internationalen Politik im Bereich Klimaschutz ist grob fahrlässig und droht Millionen Menschen die Lebensgrundlagen zu entziehen. Wenn wir es zulassen, dass sich die Erde über 1,5 Grad Celsius erhitzt, wird jeder 10. Mensch dem Risiko extremer Hitzewellen ausgesetzt sein. 

Gleichzeitig klaffen gerade im Bereich der Anpassungsmaßnahmen enorme Finanzierungslücken: Weder hat die COP27 Fortschritte gebracht, um die Lücke zu den versprochenen jährlichen 100 Milliarden US-Dollar bei Unterstützungsgeldern für Klimaschutz und Anpassung in Ländern des Globalen Südens auszuzahlen, noch gibt es einen Umsetzungsplan für die versprochene Verdoppelung der Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen. Kaum beachtet blieb, dass der Gender Action Plan, der Umsetzungsplan für Geschlechtergerechtigkeit auf internationalen und nationalen Ebenen, ohne Finanzierung geblieben ist und so die Mittel zur effektiven Umsetzung fehlen.

Der größte nicht angesprochene Elefant im Raum der Klimakonferenz war einmal mehr das Problemfeld klimabedingte Migration bzw. Vertreibung. Obwohl die Zahl der Betroffenen von klimabedingter Vertreibung (sowohl durch plötzlich- als auch langsam-eintretende Desaster) stark ansteigt, haben es die Staaten verabsäumt, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen und sich der Aufgabe zu stellen, ein internationales Schutzsystem für Betroffene auf den Weg zu bringen.

Ebenso kein geeignetes Forum fand eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Klimakrise: Denn immer noch steigen Ressourcen- und Energieverbrauch vieler Staaten. Die damit einhergehenden Extraktionsprojekte für fossile Energien und andere Rohstoffe - darunter auch Metalle für erneuerbare Energien verwüsten ganze Landstriche, Ökosysteme und Territorien indigener und lokaler Gemeinschaften. 

“Wir sind hier, um Lösungen für das Klima zu schaffen, und nicht, um Gewalt und Extraktionsprojekte auf unserem Land und in unseren Territorien zu verstärken” - Andrea Ixchíu, indigene Umweltaktivistin aus Guatemala, während einer Protestveranstaltung auf der Klimakonferenz

 

Die Zeit nach COP27: Was jetzt zählt

Die Verschmutzer-Länder und Verschmutzer-Konzerne müssen endlich ihre Abhängigkeit von der Verbrennung fossiler Energien beenden. Wenn sie das nicht tun, verdammen sie Milliarden von Menschen zur Klimahölle und weite Regionen der Erde werden unbewohnbar. Nur eine starke Zivilgesellschaft und vereinte Klimagerechtigkeitsbewegung können genügend Druck auf Staaten ausüben, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Deshalb ist es jetzt entscheidend, dass die Zivilgesellschaft den Druck erhöht, und den Regierungen klarmacht, dass die Zeit der Minimal-Kompromisse vorbei ist. Es braucht jetzt große Schritte und viel mehr Mut. 

Gerade die Länder der Europäischen Union sind dringend gefordert, ihre Emissionen viel drastischer zu reduzieren. Sämtliche Subventionen für fossile Energien sowie der Ausbau fossiler Infrastruktur müssen gestoppt werden. Die EU muss gleichzeitig einen gerechten Umstieg auf Erneuerbare unterstützen. Dazu müssen die versprochenen Mittel für Klimafinanzierung bereitgestellt werden. Außerdem muss nun der auf der COP27 beschlossene Finanztopf für Verluste und Schäden ausreichend dotiert werden.

Österreich muss so schnell wie möglich ein Klimaschutzgesetz beschließen, um sicherzustellen, dass die verbindlichen Reduktionsziele von 48 Prozent bis 2030 umgesetzt werden. Die Einhaltung von Klimaschutzzielen darf nicht optional sein, sondern braucht eine Rechtsverbindlichkeit. Daher muss Klimaschutz in der Verfassung als Grundrecht verankert werden. Österreich zahlt 5 Milliarden Euro pro Jahr an fossilen Subventionen, das muss endlich ein Ende haben. Öffentliche Gelder für fossile Konzerne sind mit einer klimagerechten Politik nicht vereinbar. 

Joachim Raich, Carolina Lebensmühlbacher und Jana Teynor waren für Südwind in Sharm el-Sheikh und haben die Verhandlungen am Weltklimagipfel sowie die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen aus nächster Nähe begleitet.

 

Eindrücke von der COP27 findet ihr auch in unserer Insta-Story

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