Wo drückt der Schuh?

Mann in Gerberei - Südindien
Das Gerben ist beinharte Arbeit
© Südwind/ Schröder
Schuhe Heimarbeiterin beim Nächen der Schuhe
HeimarbeiterInnen werden mit Hungerlöhnen abgespeist
© Südwind/ Schröder

An die 50 Millionen Paar Schuhe wurden 2013 in Österreich verkauft. Das sind ca. sechs Paar Schuhe pro ÖsterreicherIn. Mehr als drei Viertel davon wurden in Asien produziert. "Was Lederschuhe betrifft ist Indien nach Rumänien das zweitwichtigste Produktionsland für den österreichischen Markt. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass jede und jeder von uns Lederschuhe, die in Indien genäht wurden im Schuhregal stehen hat, geht gegen 100 Prozent!", erklärte Regina Webhofer von Südwind bei einer Pressekonferenz in Wien.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Christina Schröder reiste sie vor kurzem nach Indien, um in Interviews mit ArbeiterInnen, VertreterInnen von NGOs und Gewerkschaften zu erfahren, unter welchen Bedingungen viele unserer Lederschuhe hergestellt werden. "Schuharbeit ist Handarbeit und steht in den Billiglohnländern oft für Hungerlöhne, unsichere, krankmachende Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung – sowohl in Gerbereien, als auch in Schuhfabriken und Heimarbeit", fasst Schröder die Rechercheergebnisse in Südindien zusammen.

Gesundheitsgefährdendes Leder
Beim Gerben, dem ersten Produktionsschritt, wird der Wert der Tierhäute bereits um ein Hundertfaches gesteigert, während die ArbeiterInnen mit Hungerlöhnen abgespeist werden, bzw. ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird. Dabei birgt das aus wirtschaftlichen Effizienzgründen am weitesten verbreitete Gerbverfahren mit Chrom III Salzen Risiken für die Umwelt und Gesundheit, vor allem dann, wenn es nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird und es zur Bildung von Chrom VI-Verbindungen kommt. Das ist hochgiftig und kann gesundheitsgefährdend sowohl für ProduzentInnen als auch TrägerInnen von Lederschuhen sein. Aufgrund der Gefahren, die von der Chromgerbung ausgehen, gilt zwar seit 1. Mai 2015 ein Verbot von Chrom VI-haltigem Leder auf dem europäischen Markt – wie gut diese Maßnahme greifen wird, bleibt laut NGOs jedoch abzuwarten. Viele ArbeiterInnen berichteten von fehlender Schutzkleidung sowie von Haut- und Atemwegserkrankungen. Auch Unfälle kommen immer wieder vor. Zuletzt starben Anfang Jänner 2015 elf Arbeiter in ihren Baracken, weil nebenan ein Tank voll nassem, giftigem Abwasserschlamm brach, von dem sie im Schlaf überschwemmt wurden.

Hungerlöhne und Kinderarbeit
Die systematische Ausbeutung setzt sich in der Weiterverarbeitung des Leders zu Schuhoberteilen fort. Zum einen wird in Heimarbeit gefertigt. So halten sich die Fabriken einen flexiblen Pool an Arbeitskräften, die sie je nach Auftragslage beschäftigen können. Es sind vorwiegend Frauen, aber auch ganze Familien, die daheim die Schuhe zusammennähen. Pro gefertigtem Paar Schuhe werden maximal 20 Cent bezahlt, pro Tag schafft eine Näherin rund zehn Paare, erhält also höchstens zwei Euro pro Tag. Ansprüche auf Sozialleistungen oder medizinische Versorgung gibt es für HeimarbeiterInnen keine. Zum anderen wird in den Schuhfabriken sechs Tage die Wochen à acht Stunden gearbeitet, für Monatslöhne bis max. rund 70 Euro. Das entspricht nur knapp dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn und liegt weit unter einem von der Asian Floor Wage Alliance errechneten existenzsichernden Lohn.

Laut Berichten der ArbeiterInnen gibt es in vielen Fabriken kaum Pausen, sogar der Gang zur Toilette während der Arbeit ist mitunter verboten oder bedarf der Erlaubnis von Vorgesetzten - ebenso der "Urlaub": in der Praxis werden höchstens einzelne Tage frei gegeben. Zur Überlastung kommen vielerorts Beschimpfungen durch VorarbeiterInnen hinzu. ArbeiterInnen erzählten auch von Strafzahlungen, wenn sie einen Fehler machten, in der Höhe von bis zu 30 Euro – ein Betrag, der bei einem Monatseinkommen von 70 Euro oft nur über einen Kredit bezahlt werden kann. Obwohl Kinderarbeit gesetzlich verboten ist, traf das Südwind-Team auch auf Mädchen, die schon seit ihrem 15. Lebensjahr zu den gleichen Konditionen wie die Erwachsenen in den Fabriken arbeiten, aber noch weniger bezahlt bekamen. "Kinderarbeit ist ein Symptom für zu niedrige Löhne! Nur Eltern, die mit ihrem Einkommen nicht über die Runden kommen, lassen ihre Kinder arbeiten, anstatt sie in die Schule zu schicken. Alle Arbeiterinnen und Arbeiter haben vorgerechnet, dass sie das Doppelte bräuchten, als das was sie jetzt verdienen, um eine menschenwürdige Existenz zu führen und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen", berichtet Schröder.

Erste Schritte zu öko-fairen Schuhen
Genau dafür und für sichere Arbeitsbedingungen setzt sich die Clean Clothes Kampagne (CCK), die in Österreich von Südwind koordiniert wird, in den nächsten drei Jahren unter dem Motto "Change Your Shoes" im Rahmen eines europaweiten EU-Projekts ein. "Wir wollen, dass Österreicherinnen und Österreicher kein Gift und keine Ausbeutung an ihren Füßen tragen müssen. Wir fordern Transparenz und Schutz für KonsumentInnen, existenzsichernde Löhne  und sicherer Arbeitsbedingungen für ArbeiterInnen in der Schuh- und Ledererzeugung", stellt Michaela Königshofer, Leiterin der CCK, ihre Ziele und die Forderungen an die Schuhindustrie vor. Der Einkauf von ökologisch und fair produzierten Schuhen sei im Moment aus Mangel an Alternativen noch eine Herausforderung. Abhilfe kann in Zukunft aber das neue Österreichische Umweltzeichen für Schuhe schaffen. Es garantiert die Bezahlung von Existenzlöhnen und verbietet die Verwendung von Chrom gegerbtem Leder. "Mit dem Umweltzeichen für Schuhe übernimmt Österreich eine Vorreiterrolle, und wir hoffen, dass möglichst viele Unternehmen dieses annehmen", so Königshofer. Die Kriterien folgen einem ganzheitlichen Ansatz von der Herkunft der Ausgangsmaterialien bis hin zur Endfertigung.

Ein wichtiger Schritt ist für Südwind und CCK auch die verstärkte Nachfrage nach öko-fair produzierten Schuhen durch die Öffentliche Hand, denn Bund, Länder und Gemeinden treten unter Verwendung von Steuergeldern als Großeinkäufer auf – z. B. von Schuhen für Uniformen und Arbeitsbekleidung in Krankenhäusern oder Gärtnereien. "Die Bekleidungsindustrie geht mit gutem Beispielen voran und zeigt, dass öko-faire Alternativen möglich sind – genau das wollen wir auch in der Schuhindustrie sehen", schließt Königshofer.

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