Bekleidungsindustrie in Bangladesch

Ruinen der eingestürzten Fabriksgebäude Rana Plaza
Was von Rana Plaza übrigblieb
© Südwind / Schröder
Fünf Arbeiterinnen, die durch das Tazreen-Feuer ihre Lebensgrundlage verloren haben
Arbeiterinnen, die durch das
Tazreen-Feuer ihre Lebensgrundlage
verloren haben © Südwind / Schröder
Tabelle existenzsichernde Löhne

Existenzen in Trümmern, Löhne unter der Armutsgrenze: Südwind-Mitarbeiterinnen machten im September 2013 einen Lokalaugenschein in Bangladeschs Bekleidungsindustrie, Clean Clothes Kampagne startete Aktionswoche zu existenzsichernden Löhnen.

Am 24. Oktober 2013 ist es ein halbes Jahr her, dass beim Gebäudeeinsturz von Rana Plaza über 1.100 NäherInnen starben, am 24. November 2013 jährt sich das Feuer der Tazreen-Fabrik, bei dem über hundert ArbeiterInnen verbrannten. Zigtausende Menschen wurden bei diesen Katastrophen in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka verletzt oder verloren Angehörige. „"Viele Menschen haben sich zwar vor dem Feuer und den Trümmern aus den Textilfabriken retten können, müssen seitdem aber tagtäglich um ihr Überleben kämpfen", beschreibt Christina Schröder von Südwind die Situation der ArbeiterInnen nach einem Lokalaugenschein in Bangladesch bei einem Pressegespräch in Wien.

Einstürzende Fabrikbauten

"Ich habe immer noch Angst, wieder in eine Fabrik arbeiten zu gehen. Ich habe Angst bei Geräuschen", erzählte ihr die 25jährige Yasmin, die in Rana Plaza Bekleidung für europäische Unternehmen genäht und sich mit schweren Verletzungen am Arm aus den Trümmern von Rana Plaza befreit hatte. 160 Euro habe sie, als eine von wenigen, als Entschädigung bekommen – damit konnte sie gerade einen Teil der Arztkosten bezahlen. Kranken-, Unfall- oder sozialversichert war sie nicht, 48 Euro hatte sie im Monat verdient: für elf Stunden Arbeit pro Tag, an sieben Tagen die Woche. Nur weil ihr Mann ein kleines Fischgeschäft hat und sie mit ihrem kleinen Sohn in einem 9 m2 Zimmer in der Wellblechhütte einer Verwandten jetzt mietfrei leben dürfen, seien sie noch nicht verhungert, erzählte Yasmin, "Mit meinem Lohn habe ich mir für Notsituationen wie jetzt nie etwas ansparen können."

Textilfabriken in Flammen
Die 35jährige Ale Noor erlitt ein ähnliches Schicksal, als in der Textilfabrik Tazreen ein Feuer ausbrach. Nur weil es ihr gelang einen Ventilator aus den ansonsten vergitterten Fensterrahmen zu brechen, um aus dem dritten Stock zu springen, kam sie, wenn auch mit schweren Verletzungen, mit dem Leben davon. "Der Brand ist schon fast ein Jahr her und immer noch kann ich nur mit Krücken gehen und in der Nacht plagen mich Alpträume", so die ehemalige Näherin.

Rokeya Begum hat im Feuer von Tazreen ihre 18jährige Tochter verloren. Ihr Leichnam wurde nie identifiziert. Neben diesem schweren emotionalen Verlust, muss auch Rokeya nun ums Überleben kämpfen, weil sie schon zu alt ist, um in der Bekleidungsindustrie zu arbeiten und wie viele andere auch vom Einkommen ihrer Tochter abhing. "Die Bezahlung einer Entschädigung wurde mir verweigert, angeblich, weil ich nicht nachweisen kann, dass meine Tochter für Tazreen gearbeitet habe, obwohl ich doch die Lohnzettel vorweisen konnte. Ich habe nicht einmal mehr Geld, um mit dem Bus zur Behörde zu fahren, um die DNA-Analysen zu machen, um den Leichnam meiner Tochter identifizieren zu können", schilderte sie ihre verzweifelte Situation.

Südwind-Mitarbeiterin Ines Zanella, die ebenfalls vor Ort in Bangladesch war, kritisiert: "Nur mangelhaft medizinisch behandelt und mit schweren psychischen Beeinträchtigungen, wurden und werden immer wieder von einen Tag auf den anderen tausende NäherInnen und ihre Angehörige ihrer Existenzgrundlage beraubt – das sind keine Unfälle, sondern das Resultat von Ausbeutungsmechanismen, von denen Fabrikbesitzer in Bangladesch, die Regierung sowie vor allem europäische Unternehmen profitieren."   

Mehr Sicherheit durch Abkommen?
Nach den Katastrophen von Rana Plaza und Tazreen haben nun über 100 Unternehmen ein rechtlich bindendes Sicherheitsabkommen mit der bangladeschischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmerverband verhandelt und unterschrieben. Dieses sieht eine systematische Erfassung, Kontrolle und Verbesserung der Textilfabriken vor. "Das Sicherheitsabkommen wartet allerdings noch auf seine Umsetzung und es beinhaltet nicht die nun so dringenden und noch immer ausstehenden angemessenen Entschädigungszahlungen – außerdem bieten die Hungerlöhne keinerlei Existenzsicherheit", so Zanella.

Nirgends auf der Welt sind die Mindestlöhne in der Bekleidungsindustrie so niedrig wie in Bangladesch. Mit ca. 30 Euro liegt er sogar weit unter der Armutsgrenze. Außerdem profitieren Unternehmen, von H&M bis Zara und C&A bis KiK von der zollfreien Einfuhr von Textilien in die EU, die der Status Bangladeschs als LDC-Land, also eines von der UN deklarierten "am wenigsten entwickelten Länder", ermöglicht.

NäherInnen verdienen mehr

Bangladesch ist aber nicht das einzige Land, in dem NäherInnen ausgebeutet werden. Unter dem Slogan "NäherInnen verdienen mehr. Existenzlohn für alle!" startet die Clean Clothes Kampagne (CCK), die sich für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsproduktion weltweit einsetzt, eine europaweite Aktionswoche. "Ein existenzsichernder Lohn ermöglicht es einer Näherin, sich selbst und ihre Familie zu ernähren, die Miete zu zahlen, für Gesundheits-, Kleidungs-, Mobilitäts- und Bildungskosten aufzukommen sowie für unerwartete Ereignisse oder Notfälle ein wenig Geld zu Seite zu legen", erklärt Michaela Königshofer, Koordinatorin der CCK, den Begriff Existenzlohn.

"Zwischen dem nationalem Mindestlohn und einem existenzsicherndem Lohn klafft eine riesige Lücke. Millionen von NäherInnen wird ihr Menschenrecht auf einen Existenzlohn verwehrt", kritisiert sie die Hungerlohne in der Bekleidungsindustrie. Der aktuelle Mindestlohn von rund 30 Euro im Monat in Bangladesch entspricht nur elf Prozent von den 259,80 Euro, die die Asia Floor Wage Alliance, ein Zusammenschluss von asiatischen Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen, als existenzsichernden Lohn für das Land berechnet hat. Ähnlich die Situation in anderen textilproduzierenden Ländern. In Kambodscha deckt der Mindestlohn 21 Prozent jener Ausgaben, die für ein menschenwürdiges Leben nötig wären.

Clean Clothes Kampagne für existenzsichernde Löhne
In der internationalen Bekleidungsindustrie liegt der Lohnanteil bei T-Shirts im Schnitt bei ca. ein Prozent. "Würden die Lohnkosten pro produziertem T-Shirt beispielsweise in Indien um 27 Cent angehoben werden, könnten die Arbeiterinnen und Arbeiter ein menschenwürdiges Leben führen. Ein existenzsichernder Lohn ist ein Menschenrecht und darf nicht an 27 Cent scheitern!", zeigt sich Königshofer überzeugt und verweist auf die Petition unter www.cleanclothes.at/existenzlohn, mit der KonsumentInnen sich der Forderung nach einem existenzsichernden Lohn für NäherInnen anschließen können. 

Zum Downloaden und Weiterlesen:


Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende!